Werner Meyer, 2004 |
Werner Meyer, Kunsthalle Göppingen
|
||||
Merkwürdige, nicht näher zu benennende Gebilde, kaum Körper aber vier ausgreifende Beine, bewegen sich über den Boden und erklimmen die Wand. In der Menge und ihrer Anordnung erwächst das Empfinden, das die Künstlerin mit dem Titel „Invasion" (2003) assoziiert. Über einem Gerüst aus Eisendraht entsteht mittels leimgetränktem Papier der plastische Körper, mit erdigem Ocker bemalt. Inhalt und Bedeutung liegen in dem insektenhaften Wesen der einzelnen Formen verborgen und in dem Prinzip der Masse, der Ausbreitung, der Bewegung, wie diese Gebilde den Raum, den Boden wie die Wand erobern. | |||||
|
Hannelore Weitbrecht bezieht die Inspiration ihrer Kunstwerke zumeist aus Formen, die die Natur hervorbringt. Ihre Skulpturen stehen in Korrespondenz, im künstlerischen Dialog zur Fauna und Flora, deren vielfältigen Erscheinungsformen sie in der elementaren Gestalt ihrer Skulpturen abstrahiert. Allein schon die Vielzahl verweist auf die gemeinsame grundlegende Form, wenn sie in der Natur Samen sammelt und diese getrocknet in Kästen zu Strukturbildern und abstrakten Kompositionen arrangiert. Dabei leitet sie nicht ein botanisch forschendes und veranschaulichendes Interesse, sondern dem Bild als ästhetischer Ordnung und freier, assoziationsgeladener Komposition gilt das künstlerische Interesse. Aus den „Kleingärten"1, einer Vielzahl kleiner, seit 2000 entstehender Bildkästen mit in Reihung und geometrischer Ordnung zu Bildern versammelten Samen und Fundstücken aus der Natur, entwickelt die Künstlerin ihre „Collagen" (2001). „Parallel zur Natur"2 bildet sie Formen aus leim- oder ölgetränktem Papier über einem inneren Gerüst aus Draht. Die Ordnung der Reihung derselben Gestalt in jeweils einem Bild macht das Wunder, das Geheimnis der einzelnen Form sichtbar. Die Vorliebe für Samenformen unterstreicht die ästhetische Spannung zwischen der nüchtern konzeptuellen Anordnung und dem suggestiven Moment, in dem jede dieser Formen die Keimzelle zu einem Wesen sein kann, das den Möglichkeiten der Vorstellungskraft des einzelnen Betrachters vorbehalten bleibt. | ||||
Dieses Zwitterwesen zwischen Natur- oder gegenständlicher Form und künstlerischer Erfindung ist das Grundprinzip der plastischen Arbeit von Hannelore Weitbrecht, so wie sie schon zuvor in ihrer Malerei das Bild zwischen erkennbarer Form und freier malerischer Geste in der Schwebe hielt. In den „Hybriden" (2003) benennt sie dieses Prinzip im Titel mit doppeltem Sinn: Diese Formen sind motivisch weder der Tier- noch der Pflanzenwelt eindeutig zuzuordnen, und es geht auch ganz wesentlich um ihr Zwitterwesen zwischen Naturvorbild und autonomer künstlerischer Erfindung. So objekthaft die Skulpturen der Künstlerin sich im Raum geben, so bewegen sie sich zugleich im Grenzbereich des Gegenständlichen, sind Fragment, Kern und damit verdichtetes Bild einer unsichtbaren, nur zu ahnenden Gestalt und Bedeutung. Das ist die Wirklichkeit des künstlerischen Bildes im Kontrast zum vermeintlichen Bild der Wirklichkeit. | |||||
|
Ausgangspunkt im Werk von Hannelore Weitbrecht ist die Malerei. Ihre Farben und ihr großzügiger Pinselgestus bergen schon in sich ein plastisch abstraktes Verständnis der gegenständlichen Motive ihrer Bilder. Dieses malerische Empfinden findet sich noch in den Farben, vor allem in der Modellierung und Oberfläche der papiernen Haut ihrer Skulpturen. Das Schlüsselwerk ihres Übergangs von der Malerei zu Skulptur ist die dreiteilige Arbeit „Foliengeschützte Vorgärten" (1994): Gartenfolien, die Kieselsteine, getrocknete Blätter und das Zitat eines Seerosenbildes von Claude Monet beinhalten. Einerseits hat diese Werk das grundlegende Spannungsverhältnis von Denaturierung und Renaturierung sublim ins Bild gefasst. Andererseits finden reale Materialien und Naturgegenstände direkten Eingang in die Bildwelt der Künstlerin und mit ihnen erschließt sie sich die plastische dritte Dimension. [...] Die Künstlerin inszeniert ihre Skulpturenensembles im Sinne der Prinzipien der Lebendigkeit, der Bewegung, des Wachsens und der Ausbreitung („Wachsen", 2002), oder sie deutet eine geistige Dimension, den metaphorischen Bildcharakter ihrer Bilder an, das aufkeimende Leben und Hoffnung, wenn die Blätter ihre Spitzen erheben („Aufrichten", 2002). Die Installation „Wirbel" (2003) hat volle und bis auf die Kontur und die Mitte ausgebeinte Blattformen. Liegend und über die Wände scheint ein Windstoß sie aufzuwirbeln. Die Auflösung ist das Thema, mit dem Windstoß wird ein bildlicher Ausdruck des Geistigen in Anspruch genommen. Es ist durchaus nicht abwegig, so weit zu gehen in der Reflexion, viele der Werke von Hannelore Weitbrecht auch als Metaphern irgendwo im Kreislauf zwischen Leben und Vergänglichkeit und erneutem Leben zu verorten. Katalogtext |